Die Talentsparkasse

Gedanken zu Mt. 25.14ff / Lk. 19.11ff

Wenn man dieses Gleichnis hört ist man erst einmal erstaunt und fragt sich: „Soll das Himmelreich wirklich so ungerecht sein, daß diejenigen, die reich und erfolgreich sind belohnt, und jene, die arm und nicht erfolgreich sind bestraft werden?“

Das Problem bei diesem Gleichnis besteht unter anderem darin, daß „Talent“ in diesem Gleichnis ein Wortspiel darstellt. Zum einen bezeichnet es als Geldsumme den Wert eines Handelsschiffes und zum anderen die geistige Fähigkeit eines Menschen.

Um das Gleichnis besser zu verstehen, sollte man es vielleicht in unseren Alltag versetzen. Nehmen wir also an, ein Besitzer einer Kaufhauskette habe in den 90er Jahren ein neues Einkaufszentrum gebaut, muß aber vor der endgültigen Einrichtung dieses Zentrums nach Amerika oder Australien um dort eine größere Erbschaft (sagen wir eine größere Firmenkette) anzutreten.

Nun hat ihn der Abteilungsleiter für Möbel seit langem bearbeitet er möge doch unbedingt in den Bereich der Mitnahme-Möbel einsteigen, während der Chef der Radio/Fernsehgeräte ihn von Videos und CDs überzeugen wollte. Ja und der Chef der Büroartikel wünschte sich einen Computerladen. Also gab der Besitzer jedem in diesem Einkaufszentrum seine Chance. Der Möbel-Chef bekam die ganze oberste Etage für seinen Laden für Mitnahme-Möbel, der Radio/Fernseh-Chef die halbe 2.Etage für seine Videos und CDs und schließlich der Büroartikel-Chef 200 Quadratmeter im Erdgeschoß gleich neben der Eingangstür. Danach fuhr der Besitzer fort und kümmerte sich intensivst um die ererbten Werke. Sofort baute der Möbelchef seinen Laden für Mitnahme-Möbel auf und das Geschäft lief unter seiner Leitung wie am Schnürchen. Bald mußten weitere Filialen gebaut werden um der vielen Kunden Herr zu werden. Auch der 2. Ressortchef baute seinen Laden auf und hatte riesigen Erfolg, so daß er in den anderen Filialen den Platz der Radios und Fernseher zugunsten der Videos und CDs reduzierte. Nur der Chef der Büroartikel bekam Angst vor seiner eigenen Courage und ließ den überlassenen Platz vollkommen ungenutzt.

Als nun nach mehreren Jahren der Besitzer wieder zurück kam empfing ihn der Möbelchef voller Stolz: „Sieh her, wie ich vorausgesagt habe waren Mitnahme-Möbel eine Marktlücke. Ich habe um die Kunden befriedigen zu können noch mehrer neue Filial-Geschäfte bauen müssen und jedes wirft reichlich Gewinn ab“ Und der Besitzer war zufrieden und meinte: „Weil Du so tüchtig und zuverlässig warst sollst Du nicht nur Chef deiner Möbelgeschäfte bleiben sondern auch noch der Generaldirektor meiner ererbten Möbelfabriken werden.“ Auch der Video- und CD-Chef erzählte voller Stolz: „Meine Idee hat mich gerettet. An Radios und Fernsehen ist nur noch wenig zu verdienen aber die CDs und Videos boomen und die neuen DVDs werden uns vermutlich noch mehr einbringen.“ Und der Besitzer war zufrieden und meinte: „Weil du so tüchtig und zuverlässig warst sollst du nicht nur Chef deiner Abteilungen bleiben sondern auch noch eigene Läden außerhalb unserer Kaufhäuser erhalten.“

Schließlich kam auch der Chef der Büro-Artikel und sagte: „Boss ich weiß, daß für dich der Erfolg zählt und wie man an den Pleiten zahlloser kleiner Computer-geschäften sieht, war das Risiko zu groß. Keiner wußte welche Marke, welches Betriebssystem sich durchsetzen würde. Und da ich Deinen Ruf als erfolgreichen Geschäftsmann nicht schädigen wollte, habe ich den Platz lieber ungenutzt gelassen.“ Da wurde der Besitzer zornig und sagte: „Du unbrauchbarer Abteilungsleiter, dir hatte ich vertraut. Mag es auch zahllose Pleiten gegeben haben so gab es auch zahllose erfolgreiche Computer-Läden, wo ist also mein Laden? Aber so eine leere Fläche ist der reinste Schadfleck für mein Einkaufszentrum. Und wenn du Memme dich nicht traust, Deine Ideen zu verwirklichen, hättest Du dann nicht wenigstens den Platz im Einkaufszentrum anderen Kollegen als Sonderfläche abtreten können. Dann hätten die wenigstens einen Gewinn erwirtschaften können. Verschwinde, so einen Abteilungsleiter kann ich nicht gebrauchen.“

Vielleicht wird nun die Sache etwas klarer. Es geht hier nicht allein um Geld und Geldgewinn, sondern um Ideen und Chancen sowie um das Vertrauen, das einem entgegengebracht wird. Das Vergehen besteht nicht darin, daß man gescheitert wäre, sondern darin, aus Angst es gar nicht erst versucht zu haben und – was möglicherweise noch wichtiger ist – dabei den anderen die Chance verweigert zu haben es selbst zu versuchen.

Nun wird vermutlich jeder sagen: ich habe doch kein Handelschiff oder in meiner Modernen Fassung keinen Laden bekommen und schon gar keine zig Millionen Euros – was also geht mich dieses Gleichnis an. Wer so denkt, hat das Wortspiel vergessen, denn ein Talent kann auch eine Geistesgabe oder sogar nur eine Idee sein, die uns von Gott anvertraut wurde.

Hat jemand viele solche „Talente“ wird er meist von allein daran denken diese ausbauen und auszunutzen – man denke an berühmte Künstler oder Wissenschaftler oder an visionäre Politiker. Das Problem sind meist jedoch die Einzel-Talente. Kaum einer von uns wagt es – nur weil er eine interessante Idee hat – sein ganzes Leben umzukrempeln um dieser Idee nachzugehen. Vielleicht müßte man es, vielleicht würde man auch scheitern – aber das ist nicht so wichtig. Wesentlich scheint mir vielmehr, daß man dieses Talent, diese Idee nicht verbirgt sondern – wenn man sich nicht in der Lage sieht, es selbst zu verwirklichen – es anderen anvertraut es quasi in der Talentsparkasse einzahlt. Mit etwas Glück wird diese Idee dann von einem Anderen aufgegriffen, genutzt und Gewinn herausgeschlagen.

OK, wenn dieser Andere dann den Ruhm und die Ehre, ja sowohl Kapital als auch Gewinn einsackt ist dies erst einmal unbefriedigend und doch – wenn man ehrlich ist – man kann auch dadurch eine innere Befriedigung erfahren, daß man sagen kann: Mit meiner Idee ist der Andere erfolgreich geworden. Dies gilt vor allem dann, wenn es nicht um schnöden Geldgewinn oder Ruhm sondern um Ideen für ein schöneres, besseres und/oder sichereres Leben der Mitmenschen geht.

Und dann wird der Herr zwar vielleicht traurig sein, daß man zu sich selbst weniger Zutrauen hatte als er, aber man hat wenigstens das Minimum von dem getan, was möglich/nötig war.  

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